Das blutlose Herz – Veganismus und Vegetarismus sind Ausdrucksformen der Tyrannei des Mitleides
Unsere Zeit leidet nicht an Gefühllosigkeit, sondern an einem Übermass ungeformter Gefühle. Das Herz ist weich geworden, doch der Geist schweigt. Was einst als Liebe galt, nennt sich heute Mitleid. Doch Mitleid ohne Geist ist blind – und wo es herrscht, verliert das Leben sein Mass.
In dieser Schrift wird das Mitleid nicht verurteilt, sondern durchleuchtet. Denn was als Güte erscheint, kann zur Fessel werden, wenn es sich vom Mitgefühl trennt.
Dies ist eine Betrachtung über die Umkehr der Kräfte – über das Weibliche, das ohne den Geist erlischt, und das Männliche, das ohne das Herz erkaltet. Nur wenn beide sich wieder begegnen, kann das Blut, das wir fürchten, wieder zum Zeichen des Lebens werden.
Die Umkehr der Kräfte
In der Seele des modernen Menschen haben sich die Kräfte verschoben. Das Mütterliche, das einst nährte und trug, hat sich vom Geist gelöst – und das Väterliche, das führte und unterschied, ist schwach geworden.
So herrscht das Mitleid ohne Mitgefühl. Das eine fühlt zu viel und versteht zu wenig, das andere könnte tragen, doch man lässt es nicht mehr wirken.
Mitleid – das unerlöste Weibliche
Mitleid ist Bewegung ohne Mass. Es sieht das Leiden und will es sofort beenden. Es kann den Schmerz nicht halten, weil es ihn für sinnlos hält.
Darum greift es ein, tröstet, lindert, löscht aus – und tötet oft das, was Heilung bringen wollte. Es ist das unerlöste Weibliche: die Mutter, die schützt, bis sie verschlingt.
Ihr Impuls entspringt nicht der Liebe, sondern der Angst. Sie will retten, weil sie nicht glauben kann, dass Schmerz fruchtbar sein könnte.
Mitgefühl – das erlöste Männliche
Mitgefühl ist still. Es flieht nicht vor dem Leid, sondern bleibt an seiner Seite. Es ist die Kraft, die trägt, ohne zu besitzen; die hilft, ohne zu herrschen.
Mitgefühl ist das männliche Prinzip des Geistes. Es bringt Ordnung in das Chaos der Gefühle, Richtung in das Übermass des Herzens. Wo Mitleid das Leid beseitigen will, verleiht Mitgefühl ihm Bedeutung. Es erkennt, dass das Leben nur durch die Spannung von Schmerz und Liebe wachsen kann.
Die Pseudo-Moral des Mitleids
Unsere Zeit hat das Mitgefühl verloren und das Mitleid vergöttert. Was früher göttliche Liebe war, heisst heute Moral. Die neue Tugend ist Empfindung – nicht Einsicht, nicht Opfer, sondern Gefühl, das sich selbst feiert. So entsteht die Pseudo-Moral des Mitleids: ein moralisches System ohne Geist, eine Religion ohne Transzendenz.
Sie spricht von Bewusstsein, doch sie fürchtet Tiefe. Sie spricht von Mitgefühl,
doch sie meidet Schmerz. Sie redet von Leben, doch sie kennt das Opfer nicht.
Die Tyrannei des Mitleids
Mitleid ohne Bewusstsein kann zur Tyrannei werden. Es will das Leiden aus der Welt schaffen und verkennt dabei, dass Leben ohne Schmerz nicht wachsen kann. Was als Sanftheit beginnt, endet in Kontrolle. Das Gefühl will herrschen, wo das Herz führen sollte.
In dieser Haltung zeigt sich auch eine moderne Sehnsucht, die Welt von Schuld und Blut zu reinigen. Man vermeidet das Opfer und nennt es Fortschritt. So werden bestimmte Lebensformen zu Symbolen dieses Strebens – Versuche, das Leiden zu verbannen,
die aber oft das Lebendige selbst schwächen.
Das ist keine Schuld, sondern ein Zeichen der Zeit: eine Kultur, die das Mitleid verehrt, aber das Mitgefühl vergessen hat.
Die Vergeistigung des Fleisches
Wenn das Weibliche sich vom Männlichen trennt, verliert das Leben seinen Leib. Alles, was nach Blut, Erde oder Instinkt riecht, wird verdächtig. So entsteht das Ideal des Blutfreien, des Sauberen, des Reinen. Der Mensch will sich erlösen, indem er sich vom Lebendigen trennt.
Doch das Blut ist das Symbol des Opferkreislaufs, des göttlichen Austauschs von Geben und Empfangen. Wer es verdrängt, trennt sich vom Mysterium der Schöpfung.
Das verneinte Blut
Das Leben pulsiert im Rhythmus von Empfangen und Loslassen. Im Weiblichen wird dieser Rhythmus sichtbar – im Blut, das kommt und geht, im Zeichen, dass Leben sich ständig erneuert. Doch in der modernen Seele wird dieses Blut verneint. Was einst heilig war, gilt als Last, was einst gefeiert wurde, als Scham.
So verliert die Frau, und mit ihr die ganze Kultur, das Bewusstsein für den Zyklus des Heiligen.
Das Blut wird verdrängt, und mit ihm die Erinnerung daran, dass jedes Leben Opfer bedeutet.
Wo das Blut verleugnet wird, erstarrt das Herz. Und was rein erscheinen will, wird unfruchtbar.
Das moralische Paradox
Das Mitleid will retten, doch es kann nicht erlösen. Es will Schuld vermeiden, doch es schafft neue. Es sucht Reinheit, und verliert das Heilige. Denn Reinheit ohne Opfer ist Lüge, und Güte ohne Wahrheit ist Täuschung. Das Mitleid nährt sich vom Schmerz, den es verurteilt. Es liebt die Ohnmacht, weil sie Schuld ersetzt.
Das Mitgefühl dagegen liebt den Menschen, nicht sein Leid. Es sucht nicht Reinheit,
sondern Ganzheit. Es verwandelt statt zu verdrängen.
Die Rückkehr des Gleichgewichts
Heilung geschieht, wenn das Weibliche wieder den Geist sucht, und das Männliche wieder fühlen darf. Wenn Herz und Klarheit sich begegnen, ohne sich zu verschlingen.
Dann wird das Mitleid zum Mitgefühl, die Mutter wieder schöpferisch, der Vater wieder schützend. Das Leben wird wieder bewohnt – moralisch und wahr. Nicht rein, sondern heilig.
Das stille Gebet
Am Ende steht das Gebet, dass der Mensch das Opfer wieder ehren kann – das Blut, den Schmerz, das Leben. Denn Liebe ohne Opfer ist leer, und Reinheit ohne Fleisch ist tot. Erst wer das Blut segnen kann, heilt das Herz. Erst wer das Leid tragen kann, liebt die Welt.
Das Mitleid will retten, doch das Mitgefühl heilt. — Meister Reding, Kloster Nigredo